Die Sprache des Risiko­managements


Im Artikel "Was ist eigentlich ein Risiko?" wurden bereits die Begriffe Schaden, Schweregrad und Risiko eingeführt. In diesem Beitrag möchten wir weitere Elemente des Risikomanagements für Medizinprodukte besprechen. Wir lernen die Sprache des Risikomanagements näher kennen.

Meyer und Thierry1 führen aus, dass ein Risiko 3 Faktoren benötigt, um zu existieren: eine oder mehrere Gefährdungen, die Exposition gegenüber den Gefährdungen und den möglichen Verlust. Wenn einer dieser Faktoren eliminiert wird, hört das Risiko auf zu existieren. Beim Risikomanagement geht es also darum, die Bedeutung eines oder einer Kombination dieser 3 Faktoren in irgendeiner Weise zu verringern.

Meyer und Thierry nennen diesen Zusammenhang den Risk Trias:

Risk Trias

Ein Risiko ist die Möglichkeit eines Verlusts (Verletzung, Beschädigung, Beeinträchtigung usw.), der durch die Exposition gegenüber einer oder mehreren Gefährdungen entsteht. Das Risiko ist eine Funktion der Wahrscheinlichkeit eines unerwünschten Ereignisses und der Schwere seiner Folgen.

Die ISO 149712 definiert wichtige Begriffe:

Gefährdung: Potenzielle Schadensquelle

Gefährdungssituation: Umstände, unter denen Menschen, Güter oder die Umwelt einer oder mehreren Gefährdungen ausgesetzt sind

Schaden: Physische Verletzung oder Schädigung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung von Gütern oder der Umwelt

Schweregrad: Maß der möglichen Auswirkungen einer Gefährdung

Risiko: Kombination der Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Schadens und des Schweregrads dieses Schadens

Die ISO 14971 meint das Gleiche, wenn sie von

  • Schaden statt von Verlust und von
  • Gefährdungssituation statt von Exposition gegenüber einer oder mehreren Gefährdungen

spricht.

Das unerwünschte Ereignis aus der Definition von Meyer und Thierry ist hier das Auftreten eines Schadens.

Im Anhang C der ISO 14971 finden wir folgenden Zusammenhang:

Beziehung Gefährdung Ereignisse Situration Risiko

Betrachten wir das Beispiel einer Infusionsspritzenpumpe. Mit einer Spritzenpumpe können Infusionen genau dosiert verabreicht werden. Sie werden bevorzugt auf Intensivstationen eingesetzt. Dabei kommen oft mehrere Geräte pro Patient zum Einsatz.

Wir definieren die Schweregrade folgendermaßen:

S1: Tod / Lebensbedrohend lebensbedrohliche Zustände mit hoher Wahrscheinlichkeit eines letalen Ausgangs
S2: Kritisch dauerhafte schwere Beeinträchtigung oder schwere Komplikationen
S3: Schwerwiegend Beeinträchtigung, die eine ärztliche Behandlung erfordert
S4: Gering vorübergehende Beeinträchtigung, die keine ärztliche Behandlung erfordert
S5: Vernachlässigbar vorübergehende leichte Beschwerden

Eine Gefährdung könnte hier zum Beispiel eine Fehlmedikation sein.

Eine Gefährdungssituation ist die Überdosierung eines Medikaments über die Infusionsspritzenpumpe. Ein Patient erhält dadurch eine zu hohe Medikamentendosis.

Die Überdosierung kann zu verschiedenen Patientenschäden führen. Diese hängen beispielsweise von folgenden Faktoren ab:

  • Dauer der Überdosierung
  • Art der verabreichten Medikamente
  • Zustand des Patienten

Risiko und Schweregrade

P1 ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Gefährdungssituation – hier die Überdosierung. P1 wird von vielen Faktoren beeinflusst. Zum Beispiel

  • von der Handhabung der Spritzenpumpe,
  • von (Fehler-)Ereignissen, die die Spritzenpumpe verursacht,
  • von der Einhaltung von Wartungsintervallen.

Um diese Faktoren zu finden, müssen die Ereignisse, die zu einer Gefährdungssituation führen können, in einer Risikoanalyse identifiziert werden. Dabei werden sog. Abfolgen von Ereignissen (Ereignisketten) identifiziert.

Ein Beispiel einer solchen Abfolge von Ereignissen könnte sein:
SW-Fehler im Regelalgorithmus → zu große Vorschubgeschwindigkeit → zu hohe Förderrate → zu hohe Medikamentendosierung.

Über P2 wird die Verteilung des Schweregrads des Patientenschadens bestimmt, die bei Eintritt einer Überdosierung auftritt.

Die Wahrscheinlichkeit, an einer Überdosierung aufgrund der Behandlung mit einer Infusionsspritzenpumpe zu sterben, ist

Formel Wahrscheinlichkeit zu sterben

Dagegen gibt es auch Wahrscheinlichkeiten für die Risiken bezogen auf einen kritischen, schwerwiegenden, geringen oder vernachlässigbaren Schweregrad. Denn nicht alle Patienten mit einer Überdosierung sterben, sondern die Mehrzahl der Patienten wird durch die Überdosierung in einen anderen Schweregrad fallen.

Sie sehen, man braucht ein bisschen Zeit, um mit den Begriffen des Risikomanagements richtig umzugehen. Dennoch bilden gerade sie die Grundlage für ein gut durchgeführtes Risikomanagement. Die gemeinsame Sprache ist hier wichtig, um die Sicherheit unserer Produkte zu gewährleisten.

Damit kommen wir zum letzten Begriff für heute: Sicherheit.

Sicherheit ist die Freiheit von unvertretbaren Risiken.2

Sicherheit ist also nichts Absolutes, sondern muss durch gutes Risikomanagement erarbeitet werden.


  1. Meyer, Thierry. Engineering Risk Management (De Gruyter Textbook) (S.17). De Gruyter. 

  2. ISO 14971:2019 (Medical devices – Application of risk management to medical devices) 

Die dritte Ausgabe der ISO 14971 - Kurzübersicht
Was ist eigentlich ein Risiko?
Über den Autor

Thomas Kammerer ist Softwarearchitekt und Berater bei imarqio in Nürnberg. Schon früh begeisterte er sich für die Programmierung von Systemen, vor allem für strukturelle Lösungsideen. Seit über 25 Jahren entwickelt er nun Systeme für die Mess- und Medizintechnik. Er war als Softwareentwickler, Softwarearchitekt, Trainer und Berater, Team-, Entwicklungsleiter und als CTO tätig. Dabei hat er sowohl technische und methodische als auch organisatorische Fallstricke erlebt – und manchmal sogar gemeistert.

Als Spezialist für die Entwicklung medizinischer Software hat Thomas Kammerer viele Projekte im sicherheitsrelevanten und regulatorischen Umfeld unterstützt. An der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm ist er Lehrbeauftragter für die Themen Software-Engineering und Objektorientierte Programmierung.

Thomas Kammerer freut sich darauf, mit Ihnen Lösungen zu erarbeiten und seine Erfahrungen mit Ihnen zu teilen.

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